Vereinbarkeit ist möglich – zumindest in Holland


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Meine Freundin Line ist vor eineinhalb Jahren mit ihrem Mann und zwei Kindern (3 und 5 Jahre) nach Amsterdam ausgewandert. Obwohl sie schon in Deutschland der Meinung war, dass Karriere und Familie möglich sind, hat sie das Leben in Holland noch einmal mehr darin bestätigt. Sie verfolgt die deutsche Debatte zur Vereinbarkeit heute mehr denn je mit Kopfschütteln und war bereit, mir einige Fragen zu beantworten.

Line, Ihr lebt nun schon über ein Jahr in Amsterdam. Wo siehst Du die größten Unterschiede zwischen Deutschland und Holland, wenn es um Familie und Beruf geht?

Seit wir nach Amsterdam gezogen sind, haben wir nicht mehr das Gefühl einer außergewöhnlichen Spezies anzugehören. Wir sind eine Familie unter vielen, völlig normal. In Holland ist es nicht ungewöhnlich, dass beide Eltern arbeiten. Ganz im Gegenteil es ist die Regel. Hier ist es sogar eher ungewöhnlich, dass ein Elternteil nur zuhause bleibt und den Beruf – und sei es auch nur für einige Zeit – aufgibt, um sich um die Kinder zu kümmern.

Wie lebt und arbeitet Ihr heute?

Wir leben in Amsterdam das Leben, was wir uns für unsere Familie gewünscht haben. Für uns stand immer fest, dass wir beides wollen: Einen Beruf, der uns erfüllt und Kinder. Unsere Jobs sind beide sehr verantwortungsvoll und erfüllen uns komplett. Mein Mann und ich haben das Glück, dass wir unsere Jobs lieben und wirklich gerne arbeiten. Natürlich gibt es auch mal Zeiten, in denen das weniger der Fall ist, so wie fast überall. Und vor allem haben wir zwei wunderbare Kinder, die unser Leben vollkommen machen. Wir leben hier in Amsterdam, was Beruf und Familie angeht, also „sowohl als auch“ und nicht „entweder oder“.

Wie organisiert Ihr Euren Familien- und Arbeitsalltag?

Mein Mann arbeitet Vollzeit und ich arbeite 90 Prozent. Ich bin vier Tage im Büro und einen halben Tag arbeite ich von zuhause aus und der Nachmittag gehört dann voll und ganz den Kindern. Mein Mann arbeitet vier Tage die Woche eine Stunde mehr um ebenfalls einen Nachmittag mit den Kindern zu verbringen. Ich habe erst vor ein paar Monaten ein neues Jobangebot angenommen und arbeite im Gegensatz zu meinem vorherigen Job einige Stunden mehr als vorher. Deshalb haben wir uns jetzt auch den Luxus einer Putzfrau bzw. eines Putzmannes gegönnt. Die freie Zeit können wir nun mit der Familie nutzen.

Geht das denn? Zwei Kinder, beide Eltern arbeiten (fast) Vollzeit und keine Großeltern in der Nähe?

Warum denn nicht?!

Entschuldige bitte aber diese Frage bringt mich immer wieder ein wenig aus der Fassung. Nein, im ernst. Es klappt sogar sehr gut. Ich möchte gar nicht bestreiten, dass es natürlich Momente gibt, in denen es praktisch und hilfreich wäre, wenn die Großeltern oder Geschwister in der Nähe wären. Aber es klappt auch ohne ganz wunderbar. Und unsere Eltern unterstützen uns trotzdem, wenn mal Not am Mann ist. Sehr gerne sogar.

Wie macht Ihr das?

Unser Familien- und Arbeitsalltag erfordert eine gute Planung und Organisation, die auch hin und wieder mal flexible angepasst werden muss. Das liegt in erster Linie in meiner Hand. Ich kommuniziere mit der Schule, dem Hort und der Krippe, insbesondere wenn Ausnahmen anstehen und zum Beispiel einer von uns geschäftlich verreist ist. Ich kann mich aber auch immer hundert prozentig auf meinen Mann verlassen und er andersrum auf mich. Und somit funktioniert es bestens. Wir haben zudem zwei fantastische Babysitter, die schon fast zur Familie gehören und uns ebenfalls unterstützen. Insbesondere sorgen sie auch dafür, dass mein Mann und ich auch mal Zeit für uns haben. Denn neben Eltern und Berufstätigen sind vor allem auch ein Paar.

Was ich hier auch besonders zu schätzen weiß ist, dass sich Eltern untereinander unterstützen. So geht Nelly nach der Schule auch mal mit zu ihrer Freundin nach Hause oder wir haben eine Freundin bei uns zuhause. Und das geht auch mal gerne spontan und flexibel und nicht ohne wochenlange Ankündigungen.

Was macht Ihr, wenn mal ein Kind krank ist?

Wenn eines unsere Kinder krank ist, bleiben entweder mein Mann oder ich zuhause. Wir wechseln uns ab oder teilen uns die Tage auf je nach Terminen, die bei uns gerade anstehen. Mal macht einer die Frühschicht und der andere die Spätschicht oder umgekehrt. Unsere beiden Jobs lassen sich auch mal ohne Probleme außerhalb des Büros erledigen.

In Deutschland heißt es ja immer noch „geht alles gar nicht“. Warum ist es in Holland leichter, Beruf und Familie zu vereinbaren?

Manchmal habe ich das Gefühl es ist einfach leichter zu sagen „geht alles gar nicht“. Wenn Du mich fragst, dann ist es auch in Deutschland möglich, Familie und Beruf zu vereinbaren – wenn man es wirklich will.

Ich habe ja in beiden Ländern gelebt und muss allerdings schon zugeben, dass es in Holland und insbesondere in Amsterdam leichter ist. Ich denke die drei großen Aspekte sind die nötige Flexibilität, Akzeptanz und der Respekt. In Holland werden viel mehr flexible Arbeitszeitmodelle angeboten und auch gelebt. Home-Office ist fester Bestandteil eines Arbeitsverhältnisses und wird keinesfalls mit mangelnder Arbeitsqualität gleichgesetzt, wie es noch oft in Deutschland der Fall ist. Für die Holländer zählt nicht wie viel Zeit Du im Büro verbringst, sondern lediglich, dass Du Deinen Job gut machst. Ein sehr beliebtes Modell, welches viele Eltern hier in Amsterdam leben, ist dass beide 32 Stunden arbeiten. Und das ist ganz normal, oft sogar die Regel.

Unterstützen das tatsächlich auch die Vorgesetzten?

Meine Chefin hat selbst drei Kinder und auch der Chef meines Mannes hat zwei Kinder und arbeitet 32 Stunden die Woche. Somit sind die Akzeptanz und das Verständnis durch alle Job-Levels gegeben. Ebenfalls ist die Elternzeit deutlich kürzer als in Deutschland. Mütter steigen zwölf Wochen nach der Geburt wieder in den Beruf ein. Elterngeld gibt es in Holland nicht, lediglich Elternzeit. Sowohl Mütter als auch Väter haben das Recht, eine bestimmte Anzahl an Elternzeit-Tagen zu nehmen. Allerdings sind diese nicht subventioniert. Ich kann mich also dafür entscheiden, nach der Geburt und dem gesetzlichen Mutterschutz nicht wieder direkt in meinen Vollzeit-Job einzusteigen, sondern beispielsweise mit 80 Prozent zurückzukommen. Das bedeutet dann, dass ich einen Tag pro Woche Elternzeit nehme, bis meine Elternzeit-Tage aufgebraucht sind. Allerdings werde ich entsprechend auch nur 80 Prozent bezahlt. ABER ich bleibe in meiner Rolle, behalte meine Verantwortung und mein Team, ob nun in Vollzeit oder mit 80 Prozent oder weniger.

Wenn Du mich fragst, ist gerade das ein wichtiger Aspekt, warum viele Frauen auch nach der Geburt ihrer Kinder in Führungspositionen bleiben.

In Deutschland denken ja viele, es lohnt sich nicht zu arbeiten, weil die Kinderbetreuung ein Gehalt auffrisst. Wie ist das in Holland?

Zunächst einmal finde ich diese Aussage immer etwas kurzfristig gedacht. Es kann natürlich über einen bestimmten Zeitraum der Fall sein, aber auf lange Zeit gesehen geht diese Rechnung nicht auf. Hier sollte man weiter in die Zukunft denken. Sind die Kinder irgendwann alt genug, dass die Frau wieder arbeiten geht, muss sie die Jahre, die sie ausgesetzt hat, erst einmal finanziell wieder aufholen.

Darüber hinaus sind die Kinderbetreuungskosten in Deutschland verglichen mit denen in Holland nicht der Rede wert. Die Kosten hier sind deutlich höher und die Subventionen vom Staat viel geringer. Trotzdem arbeiten mehr Mütter als bei uns. Daran alleine kann es also nicht liegen. Ist aber natürlich recht einfach und bequem, dies als Vorwand anzubringen.

Und warum arbeiten in Holland trotz der hohen Betreuungskosten so viele Frauen?

Weil Sie gerne arbeiten, qualifiziert sind und sich nicht die Frage stellen, ob sie Kinder oder Karriere wollen. Denn es geht beides.

Danke Line für Deine Offenheit! Deine Aussagen zeigen wieder einmal, das ES GEHT!